Monday 17 May 2021

Abwerten - ein Trend?

Ein Thema, welches mich schon länger reizt und nun für mich persönlich in jüngster Zeit wieder sehr aktuell wurde, betrifft den in den letzten Jahren einsetzenden Trend Routen abzuwerten, weil man Kneepads verwendet. Wobei, eigentlich geht es um zwei separate und doch irgendwie zusammenhängende Trends; einerseits einen - wie ich meine - GBL-spezifischen (1) und andererseits eben um diesen neuen generellen (2).

ad 1) Die Kletterer und ihre Ethik - eine never-ending story! Ich versuche dennoch eine Näherung an dieses heikle Thema.

Schwierigkeitsgrade sind immer etwas relatives und letztlich nur ein Richtwert. Für den einen kann eine 8a+ durchaus schwerer sein als eine andere 8b und umgekehrt, je nachdem wo seine Fähigkeiten udgl. liegen, aber selbst bei ähnlichem Stil etc. kann das passieren, wenn z.B. die Tritte für eine gewisse Körpergröße weniger passend sind usw. und so fort.

Von da her macht es ja eigentlich gar keinen Sinn sich über die Gradgebung aufzuregen, oder?
Nun, ich meine doch! Zumindest teilweise, denn was mich stört ist weniger die Abwertung einer Route an sich, sondern die Unlogik die oftmals dahinter steht. Meine Ärger richtet sich nämlich eher darauf, dass Leute den Grad der einen Route nicht akzeptieren wollen, den einer anderen aber doch. Häh?! Warum sollte das auch nicht so sein, fragt ihr euch? Die Formulierung war zugegebenermaßen etwas zu abstrakt für ein viel zu spezielles Thema, daher besser mit Beispielen:

Person X klettert in einem bekannten GBL-Gebiet Route Y die prinzipiell mit Bewertung 8a+/b veranschlagt ist, vielleicht weil sich der Erstbegeher nicht festlegen wollte (nicht sicher war), oder weil er meinte, dass es schwerer als 8a+ ist, für eine reine 8b aber doch nicht reicht. Ok soweit.
Nun gibt es aber auch noch Routen A, B, C und D im Gebiet, die alle ebenfalls eine solche Zwischenbewertung aufweisen. Grundsätzlich sei festgehalten, dass das Gebiet, so man den oberen Grad heranzieht -  bei 7c+/8a also z.B. 8a - eher leicht bewertet ist, soweit der Konsens. Verglichen mit anderen Spots und Klettergebieten ist eine 8a hier also einfacher zu haben als anderswo. 

Nun verstehe ich vollkommen, wenn man meint, dass es für den oberen Grad nicht reicht und man deswegen, bzw. im Zweifelsfall, den niedrigeren Grad vergibt.

Was mich aber stört ist, wenn man nach unten tritt, den harten Hund raushängen lässt, "soft" schreibt und "not 8a" und sich ordentlich dafür feiern lässt und dann bei der nächsten Route, die ebenso zwischen den Graden hängt und sich sogar an seinem persönlichen Leistungslimit befindet (und bestenfalls noch die erste in diesem Grad wäre), den vollen Grad gibt und sich wiederum hart dafür feiern lässt. Das ist unlogisch! Und genau das ist was mich stört, diese - ich nenn es mal "8a.nu-Anflegelei", weil dieses Phänomen zwar nicht nur, aber v.a. auf eben jener Plattform zu beobachten ist. Wobei eines sei schon auch noch gesagt. Das ganze "soft-hard" Bewerten ist meiner Meinung ziemlich fürn Hugo, weil Grade - wie gesagt - etwas relatives sind und wenn ich mir nicht sicher bin, dann geb ich halt den sicheren, sprich niedrigeren Grad. Gibt halt weniger Punkte auf 8a.nu, tja! Und wenn's mir leicht vorkommt für 8a, aber halt doch wie eine 8a erscheint, dann geb ich - na, wer kann's erraten? - .....8a, genau! Das ganze "soft" und "hard" Geschreibe ist äußerst entbehrlich, aber wie gesagt, nur meine persönliche Meinung.

Das leitet uns über zu Thema Nr. 2:

ad 2) Abwertungen dank/aufgrund Kneepads:

Ich geb zu, kein einfaches Thema und ehrlich gesagt bin ich selbst noch zu keiner endgültigen Lösung (für mich) gekommen.

Auf den ersten Blick erscheint es ja durchaus nachvollziehbar eine Route abzuwerten, wenn man eine neue Lösung findet, sprich einen Kneebar setzen kann, der in die ursprüngliche Bewertung nicht eingepreist war. Aber kann man es sich wirklich so einfach machen? Die Quintessenz liegt meiner Meinung in der Frage, ob man jegliche bessere Lösung als gradrelevant erachtet oder jene ausspart die auf den - ich nenn es mal - technischen Fortschritt zurückzuführen sind.

Klar ist, wenn Typ A (Erstbegeher) eine schlechte Beta hatte und dann Typ B kommt und den Henkel verwendet, den Typ A übersehen hatte, wird das den Grad der Route ändern. Wie sieht es aber aus, wenn Typ A die neue Lösung gar nicht machen konnte, z.B. weil seinerzeit seine vergleichsweis weit geschnittenen Hanfsohlen-Kletterpatscherl halt vielleicht doch nicht das optimale Schuhwerk für den high-precision Heelhoook am kleinen Naserl waren? Natürlich ist das (bewusst) überspitzt, der Kern meiner Botschaft sollte aber klar sein.

Wo stünden wir heute ohne Karabiner, Vibram-Sohle, moderne Kletterseile, Bolts, Magnesium etc., etc.? Vielleicht würden wir Ondra dafür bejubeln dass er die neueste und bisher sicherlich härteste VI+ geklettert wäre. Oder war das gar schon VII-? Niemals! 

Andererseits ist es aber eben auch nicht so klar, wie oben angespielt, denn ein Kneepad bringt ja nicht überall etwas. In der senkrechten Mikroleisten-Route wird man eher verzweifelt sein Kneepad aufziehen und spätestens beim nächsten Versuch wieder ohne dieses anrücken und auch nicht in jeder Überhang-Route wird man es gewinnbringend einsetzen können.
Richtig komplex wird es letztlich dort, wo auch schon bisher Kneebars verwendet wurden, weil z.B. nicht schmerzhaft or whatever. Und wie geht man überhaupt mit Neurouten um? Diese kommen einem ja nun deutlich leichter vor als eine Vergleichsroute, wo kein Kneebar verwendet werden kann.

Wie gesagt, die Thematik ist komplex und eine 100% richtige Antwort gibt es wohl nicht. In der "offiziellen" Berichterstattung (gemeint sind Klettermedien mit großer Reichweite wie bspw. wiederum 8a.nu), aber auch den Kommentaren von Profikletterern, wird meiner Meinung aber derzeit etwas zu einseitig vorgegangen, als ob es eben doch eine ganz klare Antwort gebe, die da heißt, abwerten!

Man kann es eben so sehen, dass man mit besserer Ausrüstung besser klettert oder aber dass bessere Ausrüstung die Klettereien an sich leichter macht. Das sind zwei verschiedene Zugänge, beide haben ihr Für und Wider.

Vielleicht ist vor allem in Hinblick auf Neurouten die Abwertungsmethode die einfachere. Ob es auch die "richtigere" ist, sei dahingestellt. Man sollte die beiden Varianten aber auf alle Fälle im Hinterkopf behalten.


Den Post hatte ich im Übrigen schon letztes Jahr ausgearbeitet, dann aber nie veröffentlicht. Mit "Weil ich hart bin", einer Neuroute von mir an der Folterkammer, hatte sich nun aber ein akuter Anlassfall ergeben. Ich hatte diese zunächst mit 8a+ bewertet, da ich auch mit meiner ausgearbeiteten Lösung doch noch einige Versuche gebraucht hatte. Davor war ich von einer Bewertung in der 8a/+ Gegend ausgegangen.

Als der erste Wiederholer die Route sehr schnell klettern konnte, war das für mich noch wenig aussagekräftig, da dieser einen enormen Zuwachs in den letzten beiden Jahren hatte. Interessant war zwar, dass er die - für mich - schwierigste Einzelpassage gänzlich anders und viel smoother auflöste, für die rp-Crux hatte er aber meine Beta komplett übernommen und das war für mich zunächst das Ausschlaggebende. Als dann auch Wiederholer 2 die Route sehr schnell abhaken konnte (wobei ebenfalls sehr stark), war für mich klar, dass auch schlichtweg meine Lösung im unteren Teil suboptimal gewesen sein musste. Ich hätte den untere Teil separat als 7a+  Boulder bewertet (8 Züge), dann kommt ein Clipper und danach die eigentliche rp-Crux wiederum separat ca. ein 7a-Boulder (4 Züge). Gesamt hätte ich den ~15 Züge-Boulder bis zum Rettungshenkel zunächst als 7b+ fb eingeschätzt. Aus besagtem Betafail wertete ich dann aber auf 8a ab, was ja auch mit oben dargelegter Theorie übereinstimmt, dass eine bessere Lösung ggf. auch eine andere (niedrigere) Bewertung nach sich ziehen muss.

Nun bewerteten aber alle Wiederholer mit 7c+ und das deshalb, weil man in der Route mit Kneepad einen sehr guten Knieklemmer legen kann, der die Schlüsselstelle entschärft bzw. vor dieser auch einen kurzen Raster erlaubt. Wie gesagt, ich verstehe die Abwertung schon, wenn man die Logik vertritt, dass durch Kneepads Routen leichter werden. Ich wollte halt nur einmal festhalten, wie ich zu meiner Bewertung kam und wieso ich auch weiterhin 8a als angemessenen Grad empfinde, eben schlicht deshalb, weil ich meine dass ein Kneepad nicht die Route leichter macht, sondern dass man mit Kneepad einfach besser (härter) klettern kann. Dazu sagen muss ich auch, dass auch ich selbst in guter Form war und bin und zum Zeitpunkt der Erstbegehung mehrere Boulder im 7a-7b Bereich im Quick-Ascent-Style mitnehmen konnte, wobei "Weil ich hart bin" eben ziemlich eine Boulderroute ist, weswegen ich hier bei den Schwierigkeiten auch gänzlich in der fb-Skala dachte. Also ganz aus der Luft gegriffen war der Bewertungsvorschlag jetzt auch nicht. Außerdem hatte auch ich selbst eine Art Kneepad verwendet. Dieses diente aber im Gegensatz zu den "modernen" Kneepads mit Rubber lediglich der Schmerzreduktion und hat weniger Reibung als z.B. Haut (mein Kneepad ist eigentlich nur ein Volleyball-Knieschutz/-stütze). Nichtsdestotrotz, auch das muss hier natürlich Erwähnung finden, um meine Bewertung besser einordnen zu können.

Wobei ich dennoch auf weitere Wiederholer gespannt bin, denn die bisherigen zähle ich alle zur "Abwert-Gang". Und bitte nicht falsch verstehen: Der Ausdruck ist nicht böse gemeint, sind alles Freunde von mir und ich hoffe sie verzeihen mir, falls sie das mal lesen :-P
Aber ein gewisser Ruf haftet euch diesbezüglich an ;)

Aber im Endeffekt sei das wirklich Wichtige hervorgehoben:
Die Route ist saugeil und macht Spaß zu klettern! Das hat bisher noch jeder gesagt, der eingestiegen ist und das ist letztlich auch viel cooler als zu "wissen" ob es nun eine 8a oder doch nur eine 7c+ ist!